Projekt

Das Gesundheitswesen der westlichen Industrienationen befindet sich in einer konfliktträchtigen Umbruchsphase: Zunehmender Kostendruck fordert Privatisierungen und Kürzungen von Versorgungsleistungen und erzwingt Rationalisierung und Effizienzoptimierung; dagegen steht der Ruf nach der Verwirklichung des Ideals des informierten, entscheidungskompetenten und optimal versorgten Patienten. So widersprüchlich diese Zielsetzungen vielfach auch sind, so sehr unterstreichen sie doch beide den Professionalisierungsbedarf der Kommunikation im Gesundheitswesen: Verbesserte Aufklärung und Kommunikation zwischen den Beteiligten kann im gelungenen Falle Kosten sparen und zu einer patientengerechteren Versorgung beitragen.
Fachliche und gesellschaftliche Wissensaushandlung, Wissenstransfer und Dienstleistungen im Gesundheitswesen beruhen essenziell auf sprachlich-kommunikativen Prozessen. Die Wissensdomäne und ihre kommunikativen Charakteristika erfordern ein verbessertes Verständnis und eine effektivere und patientengerechtere Kommunikation. Dabei soll verdeutlicht werden, welche Beiträge die Sprachwissenschaft zu aktuellen Fragen und Handlungsproblemen der Gesundheitskommunikation leisten kann. Leitlinien dafür sind die Sichtbarmachung unterschiedlicher Perspektiven aller Beteiligten auf medizinische Sachverhalte und wie sich diese sprachlich vor dem Hintergrund kultureller, gesellschaftlicher und politischer Kontexte manifestieren sowie die Optimierung von Verständlichkeit und Patientenaufklärung in ganz unterschiedlichen Aufgabenbereichen des professionellen Handelns:

  • in der fachlichen und öffentlichen Wissensaushandlung,
  • in der medialen, klinischen und online stattfindenden Gesundheitsaufklärung,
  • in der Produktinformation,
  • im ärztlichen, therapeutischen Gespräch,
  • in der Planung von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen mit den Patientinnen und Patienten vor dem Hintergrund aktuell diskutierter medizinischer Paradigmata,
  • in Beratung sowie allen Formen der kommunikativ gestützten Therapie, Intervention und Bewältigungshilfe (zwischen Fachleuten und Laien oder auch in Selbsthilfeformaten).

Die genannten Aufgaben sind in mündlichen wie schriftlichen Genres unterschiedlicher Fächer und Praxisbereiche der Medizin und Gesundheitsversorgung zu bearbeiten.

Projektziele

Für die Wissensdomäne Medizin und Gesundheitswesen lassen sich folgende Aufgaben als Projektziele bestimmen:

  • synchrone, aber auch diachrone Statusanalysen kommunikativer Genres (mündlich/schriftlich) in der Medizin und in angrenzenden Fach- und Praxisbereichen im Bereich des Gesundheitswesens,
  • Statusanalysen aktueller Aus- und Weiterbildungskonzepte zur Kommunikation in der Medizin und im Gesundheitswesen,
  • Erfassung des Stellenwerts von Kommunikation in der Medizin und im Gesundheitswesen,
  • Bestimmung sprachwissenschaftlicher Kompetenzfelder für die Validierung und Verbesserung kommunikativer Prozesse in der Medizin und im Gesundheitswesen,
  • Erarbeitung von Konzepten zur Validierung und Verbesserung in der Medizin und im Gesundheitswesen,
  • Umsetzung von Konzepten zur Validierung und Verbesserung in der Medizin und im Gesundheitswesen in konkrete Beratungs- und Trainingsangebote,
  • Erfassung von Prozessen der Wissensaushandlung und -konstituierung in Fach- und Vermittlungskontexten,
  • Statusanalysen und Erarbeitung von Konzepten zur Validierung und Verbesserung von Gesundheitsinformationen im WWW,
  • Erfassung des Stellenwerts von Sprache bei wissenschaftlichen Datenerhebungsinstrumenten in der klinischen und salutogenetischen Forschung,
  • Kooperation mit den im Gesundheitswesen tätigen Professionellen, insbesondere mit in Aus- und Weiterbildung tätigen Dozentinnen und Dozenten und Didaktikerinnen und Didaktikern,
  • Interdisziplinärer und internationaler Austausch im Kontext von Medizin und Medical Humanities mit Forschenden, die sich aus natur-, geistes- und/oder sozialwissenschaftlicher Sicht mit Themen rund um Gesundheit und Krankheit befassen, und Vernetzung mit Fachgesellschaften, Wissenschaftsredaktionen, Arbeitsgemeinschaften und der Öffentlichkeit.

Ausgewählte Literatur

HSW11

HSW 11 Busch, Albert/Thomas Spranz-Fogasy (Hg.) (2015)  Handbuch Sprache in der Medizin. Berlin/Boston: De Gruyter.

Link zur Reihe 

Scarvaglieri, Claudio/Graf, Eva/Spranz-Fogasy, Thomas (eds.) (2022): Relationships in Organized Helping. Analyzing interaction in psychotherapy, medical encounters, coaching and social media. Amsterdam: Benjamins.

SuW 44 – Iakushevich, Marina/Ilg, Yvonne/Schnedermann, Theresa (Hg.) (2021) Linguistik und Medizin. Sprachwissenschaftliche Zugänge und interdisziplinäre Perspektiven. Berlin/Boston: De Gruyter.

Schnedermann, Theresa (2021): Die Macht des Definierens. Eine diskurslinguistische Typologie am Beispiel des Burnout-Phänomens. Berlin/Boston: De Gruyter.

Verfertigung

Spranz-Fogasy, Thomas (2014): Die allmähliche Verfertigung der Diagnose im Reden. Prädiagnostische Mitteilungen im Gespräch zwischen Arzt und Patient. Berlin/Boston: De Gruyter.

Buß, Marlen (2021): „Sie können Ihr Testament machen, was sonst?“ Ärztliche Gesprächsführung zwischen Diagnose und Betroffenheit. In: Sprachreport 37/4, S. 10-18.

Deppermann, Arnulf/Scheidt, Carl Eduard/Stukenbrock, Anja (2020): Positioning shifts from told self to performative self in psychotherapy. In: Frontiers in Psychology 11., S. 1-18.

Dinger U./Morschek L./Stangl L./Israel, D./Schopper, A./Thanbichler, E./Zumbaum-Fischer, F./Hippchen, T./Merle, U./Tarbet, K./Nikendei, C. (2022): Psychosomatic-psychotherapeutic support for Covid-19 patients in domestic quarantine: a content analysis of supportive telephone calls. In: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie68 (3), S. 283-296.

Fenner, Carolina/Spranz-Fogasy, Thomas/Montan, Inka (2022): Verbosität als Widerstandsmanifestation in psychodynamisch-psychotherapeutischen Gesprächen. In: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 23. Jg. (= Gesprächsforschung 2022). Göttingen: Verlag für Gesprächsforschung. S. 213-242.

Graf, Eva-Maria/Scarvaglieri, Claudio/Spranz-Fogasy, Thomas (2019): Pragmatik der Veränderung. Tübingen: Narr.

Graf, Eva/Sator, Marlene/Spranz-Fogasy, Thomas (Hg.) (2014): Discourses of Helping Professions. Amsterdam: Benjamins.

Gumz, Antje/Spranz‐Fogasy, Thomas (2021). Sprachliche Charakteristika einer Psychotherapiesitzungssequenz aus Perspektive unterschiedlicher Analysemethoden. In: Psychotherapeut 67, S. 150-157.

Hohenstein, Christiane/Lévy-Tödter, Magdalène (2020): Multilingual Healthcare. A Global View on Communicative Challenges. Wiesbaden: Springer Gabler.

Kabatnik, Susanne/Graf, Eva-Marie (2021): Lösungsorientierte Fragen im Coaching- und Psychotherapie-Gespräch – Ein gesprächslinguistischer Vergleich ihres interaktionstypspezifischen, lokalen Veränderungspotentials. In: Coaching | Theorie & Praxis7, S. 99-115.

Läpple, Sina/Nikendei, Christoph/Ehrenthal, Johannes C./Kabatnik, Susanne/Spranz‐Fogasy, Thomas (2021). Therapeutische Reaktionen auf Patientenwiderstand in psychodiagnostischen Gesprächen am Beispiel Lösungsorientierter Fragen. Göttingen: Verlag für Gesprächsforschung.

Mack, Christina/Nikendei, Christoph/Ehrenthal, Johannes/Spranz-Fogasy, Thomas (2016): „[…] hab ich glaub ich die richtigen Fragen gestellt“. Therapeutische Fragehandlungen in psychodiagnostischen Gesprächen. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache (= OPAL 3).

Spranz-Fogasy, Thomas/Graf, Eva-Maria/Ehrenthal, Johannes C./Nikendei, Christoph (2019). Requesting Examples in Psychodiagnostic Interviews: Therapists’ Contribution to the Sequential Co-construction of Clients’ Change. In: Communication and Medicine 16 (2), S. 129-141.