Ausgehend von der vermeintlich trivialen Tatsache, dass jegliches gesellschaftlich relevantes Fachwissen zum Zwecke der Kommunikation sprachlich gefasst werden muss, beabsichtigt das Forschungsnetzwerk, Sprache (genauer sprachliche Zeichen und ihre Verknüpfung) als Konstituierungsmedium fachlichen Wissens besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um dadurch Probleme fachspezifischer und professioneller Kommunikation als auch »veröffentlichter« und öffentlicher Kommunikation über Fachwissen aus sprachlicher Sicht analysieren zu können.

Das Forschungsnetzwerk setzt sich zum Ziel, kommunikative Schwierigkeiten schon bei der Konstitution fachlicher Gegenstände und wissensspezifischer Sachverhalte in den Fachtexten bzw. Fachdiskursen antizipierend aufzuspüren, bevor die Veröffentlichung von Fachwissen (als »veröffentliche« Darstellung in der Öffentlichkeit) unter spezifisch sprachlichen Vermittlungsgesichtspunkten erforscht werden kann. Dabei wird davon ausgegangen, dass Wissen in allen Wissensdomänen unter anderem sprachlich konstituiert wird und aufgrund dessen Vermittlungsprobleme in einer Kooperation von Fachexperten mit Linguisten bearbeitet werden sollte.

Aus diesem Grunde sind in dem Forschungsnetzwerk vor allem Linguistinnen und Linguisten vereinigt, die ein je spezifisch fachliches und sprachliches Interesse an einer ganz bestimmten Wissensdomäne verbindet. Zur fachlichen Unterstützung bilden sie Tandems mit Fachexperten.

Durch die Etablierung eines interdisziplinären Forschungsnetzwerkes unter linguistischer Federführung und durch die institutionelle Verknüpfung wissenschaftlicher Kompetenz können die Voraussetzungen für Drittmittelanträge geschaffen werden.

Vorbemerkungen zur Projektidee

Gesamtgesellschaftlich relevante Dispute werden oft vor ihrem Bekanntwerden in der sog. Öffentlichkeit (also vor der Publikation der veröffentlichten Meinungen) in den einzelnen Wissensdomänen geführt. Dort finden Auseinandersetzungen statt, die sich mit u.a. in der Linguistik entwickelten Diskursbeschreibungsverfahren nachzeichnen lassen. Gelangen die Auseinandersetzungen in den öffentlichen Diskurs und werden dort in überregionalen Publikationsorganen weitergeführt, so sind die mit der Materie vertrauten Fachleute zumeist überrascht, wie ihr Gegenstand anders konstituiert wird. Dieses Phänomen lässt sich mit der – in den Medienwissenschaften bekannten – Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Realität zum Teil erhellen (Schmidt 1996). Unter Wirklichkeit sei die mit den originären Sinnen erfahrbare und begreifliche Welt verstanden, Realität das medial abgebildete und also zwangsläufig gestaltete Szenario davon. Vor diesem Hintergrund der Differenzierung sind wir als Staatsbürger des sog. Informationszeitalters in erheblichem Maße mit »Realität« konfrontiert, also mit Produkten, die »Wirklichkeit« zu zeigen vorgeben. In der Rezeption von gesellschaftspolitisch relevanten Ereignissen haben wir es demzufolge mit gestalteten Materialien in sprachlicher Form zu tun, die »Wirklichkeit« in »Realität« verwandelt haben. Massenmediale Sprach- und Bildzeichen und Zeichenverkettungen sind daher ein perspektivierter Ausschnitt von Welt zur interessengeleiteten Konstitution von Realität im Spektrum verschiedener Wirklichkeiten.

Thesen zur Projektidee und zum Forschungsnetzwerk

Die folgenden Thesen verdeutlichen die Ziele und den Kontext:

  • Die vorwissenschaftliche und intuitive Grundannahme, Medien berichteten über Ereignisse, ist verkürzt und so nicht zu halten. Als Medienrezipienten sind wir in dieser Grundannahme vielfach erschüttert worden, dennoch bleibt sie als stereotype Wahrnehmungshaltung erhalten. Die Problematik der Annahme besteht darin, dass die – in Versprachlichungsprozessen – konstituierten »Wirklichkeiten« in ihrem Ergebnis als gegeben hingenommen werden. Damit einher geht die Voreinstellung, Medien wollten lediglich ontisch schon Gegebenes darstellen bzw. erklären. Der Versprachlichungsprozess als solcher wird als zentraler Prozess beim (Nicht)Verstehen weder aus semiotischer Perspektive noch aus einer anderen Sichtweise problematisiert. Eine solche rein instrumentelle (um nicht zu sagen mechanistische) Betrachtungsweise impliziert zusätzlich eine naive abbildtheoretische 1:1-Beziehung zwischen sprachlichem Ausdruck und ontologischer Entität (Annahme einer ontologisch-essentialistischen Beschaffenheit von Welt(gegen­ständen).
    Im Gegensatz dazu sieht auch S.J. Schmidt die Bedeutung von Medienangeboten (z.B. Texten) nicht als ontologische Entitäten an, sondern als etwas, das aus soziokulturell orientierten kognitiven Operationen mit Medienangeboten in konkreten Kontexten resultiert. Zeichen und Zeichenverkettungen instruieren Kognition wie Kommunikation, aber sie dirigieren nicht. Die »Tatsachen« bzw. Sachverhalte, die durch deklarative Sprachhandlungen in der institutionellen Medienkommunikation geschaffen werden, zeichnen sich dadurch aus, dass unterschiedlichen ontologischen Kategorien von Erscheinungen wie Menschen, Ereignissen, Handlungen, Denktätigkeiten, Dingen, Gegenständen ein bestimmter Status auferlegt wird und sie somit zum gesamtgesellschaftlich relevanten Sachverhalt deklariert werden. Zum Vollzug solcher deklarativen Sprachhandlungen muss derjenige, der sie vollzieht, über die Autorität und die entsprechende Position innerhalb der systematischen Beziehungen von Institutionen verfügen.
  • Die konstruktivistische und verbreitete These, Medien konstruierten mediale Realität aus originär erfahrener Wirklichkeit, blendet den Aspekt aus, dass massenmediale Realität auch ohne Pendant der Wirklichkeit konstituiert werden kann.
  • Medien setzen häufig den wissenschaftlichen Sachverhalt als einen sozialen Sachverhalt erst fest und schaffen so einen Sachverhalt eigener Qualität, den es ohne institutionelle Medienkommunikation nicht gäbe. Solche »Medienrealitäten« ohne »Wirklichkeitspendant« in den Wissensdomänen sind der Grund für die Verwunderung bzw. Verunsicherung der eingeweihten Fachleute. Diese Texttransformationen (also die Textveränderungen bei der Überführung von Fachtexten in Vermittlungstexten) nehmen viele Experten als »Verzerrungen« wahr und schreiben sie defizitärer Kommunikation (»gestörter« Kommunikation) zu.

Konsequenzen für Aufbau und Organisation des Netzwerks

Um die soeben angesprochenen »Informationsverzerrungen« auf dem Wege der Texttransformationen transparenter machen zu können, sind idealiter Diskursexperten und Fachexperten der jeweiligen Wissensdomäne vonnöten. Linguistische Kritik an den zahlreichen Vermittlungsansätzen legt Wert auf die Erkenntnis, dass die Problematik nicht durch eine Fokussierung der Vermittlungstexte in den Griff zu bekommen ist, sondern nur, wenn die fachspezifischen (sprachlichen) Konstitutionsbedingungen der jeweiligen Fach- und Wissensdomäne als vorgelagerte Wahrnehmungs- und »Wirklichkeits«-Folie nachgezeichnet werden. Ohne Kenntnis der fachsprachlichen bzw. fachkommunikativen Sprachhandlungstypik zur Konstitution der fachlichen Gegenstände (im Unterschied zur alltagsweltlichen Konstitution der Lebenssachverhalte) kann eine adäquate Vermittlung nicht gelingen.

Struktur des Forschungsnetzwerks: Wissensdomänen, Projektleitung, Kooperationspartner

Die Konsequenzen dieser Erkenntnis gilt für alle Wissensdomänen in ähnlicher Weise. Auf Grund dessen sind die Aufgaben in den Wissensdomänen nur dann adäquat zu bearbeiten, wenn Fachexperten der jeweiligen Wissensdomänen mit fachlich ebenfalls versierten Linguisten bzw. Diskursanalytikern zusammenarbeiten. Gemeinsam bilden die linguistischen Projektleiter und die Kooperationspartner ein fachlich-inhaltliches und fachkommunikatives Experten-Tandem. Die folgenden Wissensdomänen sind bisher besetzt:

Das Forschungsnetzwerk kann jederzeit erweitert werden.

Fazit und Aufgaben des Netzwerks

Im Mittelpunkt des Netzwerk-Aufgabenfeldes steht das folgende Forschungsdesiderat: Schwierigkeiten sowohl fachspezifischer und professioneller Kommunikation als auch »veröffentlichter« und öffentlicher Kommunikation über Fachwissen sollen aus sprachlicher Sicht analysiert werden. Dabei ist nicht erst bei den Vermittlungstexten selbst mit der Untersuchung anzusetzen, sondern bei den jeweiligen Fachtexten des Fachdiskurses. In der sog. Öffentlichkeit konstituiertes Fachwissen wird im Unterschied zu anderen Ansätzen konsequent unter der Fragestellung erforscht, welche Rolle dem Medium Sprache bei der Konstitution der fachlichen Sachverhalte zuzuschreiben ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass Wissen in allen Wissensdomänen unter anderem sprachlich konstituiert wird und aufgrund dessen in einer Kooperation von Fachexperten mit Linguisten bearbeitet werden sollte. Dieses Tandem aus linguistischer Projektleitung und fachlichen Kooperationspartnern kann Texttransformationen, also die Textveränderungen bei der Überführung von Fachtexten in Vermittlungstexten, am kritischsten begleiten.Der folgende dreigliedrige Fragenkatalog könnte bei der Bearbeitung aller Wissensdomänen sinnvoll sein:

  • Welche fachlich umstrittenen Sachverhalte in der jeweiligen Wissensdomäne haben gesamtgesellschaftliche Relevanz bzw. stoßen auf ein öffentliches Interesse?
  • Wie ist der fachsprachliche Forschungsstand zu charakterisieren?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für fachspezifische und professionelle Kommunikation als auch für »veröffentlichte« und öffentliche Kommunikation über Fachwissen?

Die Projektleitungen versuchen erste Antworten auf diese drei Fragen zu geben und strukturieren die jeweiligen Wissensdomänen nach den je spezifischen Diskursgegebenheiten.