Bericht über den Aktionstag “Sprache unter der Lupe” am 10. Oktober 2007 an der Universität Heidelberg, veranstaltet von den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik (Prof. Dr. Ekkehard Felder) im Rahmen des Jahres der Geisteswissenschaften. Der Aktionstag wurde beim Hochschulwettbewerb “Geist begeistert” prämiert.
Eine Videoaufzeichnung der Podiumsdiskussion finden Sie hier.
Das Medium, in dem wir unser Wissen über die Welt fassen, ist die Sprache. Deshalb beinhalten öffentliche Debatten oft einen Streit um Worte: Darf man zum Beispiel von “therapeutischem Klonen” sprechen oder sollte man eher “Forschungsklonen” sagen? Brauchen wir eine “Leitkultur” oder eine “Metakultur”? Wer eine Bezeichnung in der öffentlichen Debatte durchsetzen kann, der hat auch die Deutungshoheit über den entsprechenden Sachverhalt. Mit Mitteln der Sprachwissenschaft kann man solche Diskurse untersuchen.
Das internationale und interdisziplinäre Forschungsnetzwerk “Sprache und Wissen” lud im Jahr der Geisteswissenschaften für den 10. Oktober 2007 rund um die Alte Aula der Universität Heidelberg zum Aktionstag “Sprache unter der Lupe” ein. Im Zentrum stand eine öffentliche Podiumsdiskussion der etwas anderen Art: Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler diskutierten vor 200 Zuschauern über das Thema “Was heißt ‘Leben’?”. Zeitgleich analysierten Sprachwissenschaftler die Diskussion und stellen dem Publikum die Ergebnisse ihrer “Diskursanalyse Live” vor (Video). Parallel fand ein “Jahrmarkt der Sprache” statt, auf dem Studierende exemplarisch umstrittene Debatten aus den Gesellschaftsbereichen Medizin, Politik, Kunst, Naturwissenschaft und Geographie vorstellten und zeigten, welche Rolle die Sprache dabei spielt. Die Stände boten Gelegenheit zum Mitmachen und Diskutieren.
Die Jahrmarktsstände standen teils auf dem Universitätsplatz, teils im Foyer der Alten Aula und waren von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Sie waren den ganzen Nachmittag über – auch dank des schönen Wetters – bestens besucht. Auf dem Weg zur Podiumsdiskussion kamen auch viele Fachwissenschaftler und Studierende aller Fachrichtungen an die Stände und diskutierten engagiert mit den zahlreichen interessierten Passanten. So entstanden lebhafte Debatten zwischen Fachleuten und Laien. Die Studierenden, die für die Stände verantwortlich waren, konnten einen anregenden Nachmittag erleben, der ihnen selbst neue Perspektiven für Ihr Studium eröffnete. Aus der Konzeption der Jahrmarktsstände haben sich bereits mehrere Projektideen für Magister- und Staatsexamensarbeiten ergeben.
Ab 14 Uhr wurde in der fast vollständig gefüllten Alten Aula interdisziplinär um den Ausdruck “Leben” gerungen. Der Molekularbiologe Konrad Beyreuther (Professor am Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg, Mitentdecker des BSE-Erregers, Staatsrat für Lebenswissenschaften der Landesregierung Baden-Württemberg), der Historiker Edgar Wolfrum (Professor für Zeitgeschichte), der Ökonom Frank H. Witt (Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft, Merkur Internationale Fachhochschule Karlsruhe) und der Theologe Wilfried Härle (Professor für Systematische Theologie, Mitglied der Enquete-Kommission “Ethik und Recht der modernen Medizin” des Deutschen Bundestages) bemühten sich dabei sichtlich, trotz der deutlich unterschiedlichen fachlich inspirierten Ideen vom “Leben” um jeweils ausgleichende Positionen. Dem Moderator Hermann Theißen (Deutschlandfunk) gelang es jedoch mit zugespitzten Fragen immer wieder, die Diskutanten zur Offenlegung der unterschiedlichen Vorstellungen, die in den jeweiligen Fächern an den Ausdruck “Leben” geknüpft sind, zu bewegen. Strategische “semantische Kämpfe” entbrannten vor allem um den angemessen Gebrauch der Bezeichnung “Lebenswissenschaften”, die alle Beteiligten für ihr Fach reklamierten.
Im Hintergrund analysierten währenddessen die Sprachwissenschaftler Martin Wengeler (Düsseldorf), Stephan Habscheid (Siegen), Ekkehard Felder (Heidelberg) und Wolf-Andreas Liebert (Koblenz-Landau) die Diskussion, wobei je ein Linguist sein Augenmerk auf einen der Diskutanten richtete. Sie versuchten sich daran, aus dem Stand zu ermitteln, welche Strategien die Diskutanten verwendeten, um Begriffe zu besetzen, und wo bzw. warum sich Verständigungsprobleme in der interdisziplinären Debatte ergaben. Ihre Analysen trugen sie im Anschluss an die Diskussion vor. Dabei hob jeder Beiträger einen anderen Aspekt der Diskussion aus seiner persönlichen Sicht und auf der Grundlage der eigenen wissenschaftlichen Methode hervor. In einer unmittelbar anschließenden Stellungnahme nahmen die Diskutanten die Anregungen auf und stellten dar, mit welchen Zielen und Strategien sie die Diskussion angegangen waren. So entgegnete etwa der Theologe Wilfried Härle auf die Beobachtung, er habe darauf verzichtet, in der Diskussion das christliche transzendentale Lebenskonzept für sich zu beanspruchen, er habe nicht als derjenige abgestempelt werden wollen, “der hier nur für das ewige Leben zuständig ist”. Vor allem in diesen abschließenden Stellungnahmen ergab sich die faszinierende Chance, Einblicke in das “Innenleben” von Debatten zu bekommen, die wir in den Medien nur aus der Ferne verfolgen können. Die “Diskursanalyse live”, für welche die Linguisten vom Moderator Hermann Theißen ausdrücklich gelobt wurden, wurde auch vom Publikum interessiert aufgenommen und bot Stoff für rege Diskussion über das Ende der Veranstaltung hinaus.
Der Aktionstag hatte das Ziel, die Arbeit des Forschungsnetzwerkes “Sprache und Wissen – Probleme öffentlicher und professioneller Kommunikation” bekannt zu machen. Das Netzwerk basiert auf einem Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, die sich zum Ziel gesetzt haben, in verschiedenen gesellschaftlich relevanten Wissensbereichen die Versprachlichung der fachspezifischen Gegenstände und Sachverhalte zu untersuchen. Dadurch können Probleme sowohl fachspezifischer als auch medialer Kommunikation über Fachwissen aus sprachlicher Sicht analysiert werden.
Der Aktionstag war Teil des Symposions “Sprachliche Formationen des Wissens” des Internationalen Wissenschaftsforums der Universität Heidelberg.