Projekt

Bevor die »deutsche Sprache« zu einem Gegenstand der Schule und der Wissenschaften (heute vor allem der »Germanistischen Linguistik«) geworden ist, war sie seit Jahrhunderten Gegenstand einer geisteswissenschaftlichen, philologischen, literarisch-publizistischen und vor allem einer kulturpolitischen Debatte und Reflexion. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Einer repräsentativen Umfrage des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache (IDS) zufolge interessieren sich gut zwei Fünftel aller Deutschen für dieses Thema. Es ist in verschiedenen Zusammenhängen – jeweils in unterschiedlicher Breite – in der öffentlichen Diskussion präsent:

  • in der kritischen Auseinandersetzung mit Phänomenen des – häufig als »Sprachverfall« gedeuteten – Sprachwandels (insbesondere in der Debatte um den angloamerikanischen Einfluss);
  • in der Frage nach der internationalen Rolle der deutschen Sprache (insbesondere angesichts der Dominanz des Englischen);
  • in der Frage des »politisch korrekten« Sprachgebrauchs (insbesondere der sprachlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie eines nicht diskriminierenden Umgangs mit Minderheiten);
  • in der Beschäftigung mit Fragen der Orthographie (insbesondere in der Debatte um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibreform, die Ende der 1990er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, mittlerweile aber weitgehend beendet ist).
  • Im Bereich von Schule, Ausbildung und Wissenschaft wird zum Teil kontrovers diskutiert, welche Rolle die deutsche Sprache, z. B. als Unterrichtsgegenstand oder als Wissenschaftssprache, spielen soll. Stichworte hierfür: Mehrsprachigkeit, Schüler mit Migrationshintergrund, Aufnahme in den Kanon von berufsqualifizierenden »soft skills«, u. a. im Kontext von BA/MA-Studiengängen (»Sicherheit in Rede und Schrift«), die Ersetzung des Deutschen durch das Englische als zentrale Wissenschaftssprache und (insbesondere in der Schweiz) die Rolle des Standarddeutschen gegenüber den Dialekten in Kindergarten und Schule.
  • Bemerkenswert ist ferner eine aktuelle Politisierung der »deutschen Sprache« in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Sie zeigt sich insbesondere im Bemühen um eine stärkere Verankerung des Deutschen bzw. des österreichischen Deutschen in EU-Gremien sowie – in Deutschland – in der von einer breiteren getragenen Forderung, den »Primat der deutschen Sprache« als Verfassungsziel im Grundgesetz zu verankern. In der Schweiz ist Deutsch insbesondere vor dem Hintergrund des Multilingualismus ein Politikum, das Gegenstand zahlreicher Kontroversen ist (Rolle des Deutschen als Landessprache, Spannungsverhältnis Standarddeutsch-Mundarten innerhalb der Deutschschweiz).
  • Neben der Kommerzialisierung der Sprache in und als Werbung ist die »Öffentlichkeitdeutsche Sprache« offenkundig auch zu einem Gegenstand der Unterhaltung geworden (vgl. den Erfolg von Bastian Sick u. a.)
  • Weitere Gegenstände des Interesses sind Dialekte und Soziolekte, Etymologie, Grammatik, sprachliche Manipulation in Politik und Werbung, Spracherwerb.
  • Fragen der Verständlichkeit, u.a. mit dem neuen Schwerpunkt „Leichte Sprache“.
  • Einfluss des Internets auf die sprachliche Kommunikation.

 

Publikation

 

HSW10

HSW 10 – Antos, Gerd/Thomas Niehr/Jürgen Spitzmüller (Hg.) (In Vorb.): Handbuch
Sprache im Urteil der Öffentlichkeit. Berlin/Boston.

 

AngewandteLinguistik

Knapp, Karlfried (Hg.) (2011): Angewandte Linguistik. 3. Auflage.  Tübingen/Basel.

 

Weiterführende Internetverbindungen:

Gespräche: http://www.gespraechsforschung-ozs.de/

Verständlichkeit: https://blogs.urz.uni-halle.de/startklar/

Mediensprache: https://www.mediensprache.net/de/ http://scilogs.spektrum.de/engelbart-galaxis/

Sprachberatung: http://gfds.de/ (Gesellschaft für deutsche Sprache, (Wiesbaden), GfdS)

Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL): http://www.gal-ev.de/index.php/angewandte-linguistik-start/;

Institut für deutsche Sprache (IdS): http://www1.ids-mannheim.de/

… und vieles Mehr zur (Erforschung der) Deutschen Sprache: http://www.linse.uni-due.de/;

 

Projektziele

Ziel der Einrichtung einer Wissensdomäne »Deutsche Sprache« ist es, Formen der öffentlichen Thematisierung von Sprache (»Laienlinguistik«) in Beziehung zu Erkenntnissen der Sprachwissenschaften zu setzen. Daraus leitet sich u. a. folgende (Forschungs-)Frage ab: Wie und von wem wird jenseits der Sprachwissenschaft der Gegenstand »deutsche Sprache« als Handlungs- und Wissensdomäne öffentlich und medial »popularisiert«, vereinnahmt und auch instrumentalisiert? Und: Wie reagiert die Linguistik darauf?

Dabei geht es nicht ausschließlich um gegenwärtiges Sprachwissen, sondern auch die histori­sche Perspektive ist von Interesse. Aus innerlinguistischer Perspektive weist der Gegenstand »Sprache« zwei verschiedene Dimensionen auf, die beide Berücksichtigung finden sollen: erstens dasjenige an Sprache, was die zu untersuchende Personengruppe weiß oder zu wissen glaubt (die Ansichten über Sprache bzw. die Sprachideologie: Themen, Fragestellungen, semantische Konzepte, Programme, Einstellungen), und zweitens die Art und Weise, wie die zu untersuchende Personengruppe über Sprache spricht, wie sie ihr Sprachwissen bzw. ihre Sprachideologie sprachlich konstituiert. Zudem ist der Gegenstand identisch mit dem Untersuchungs- und Beschreibungswerkzeug, so dass auch dieses zum Gegenstand der Untersuchung werden kann – d. h., das Interesse richtet sich auch auf das sprachlich gefasste Wissen ebenso wie die Art und Weise metasprachlichen Sprechens in der linguistischen Fachgemeinschaft.

Die Einrichtung der Wissensdomäne »Deutsche Sprache« versteht sich als ein Forum, Inhalte und Spannungen dieser Kontroverse zu dokumentieren, zu analysieren und Vermittlungswege aufzuzeigen. Einschlägige Fragen dazu sind:

  • Was weiß die Sprachgemeinschaft über Sprache?
  • Was interessiert die Sprachgemeinschaft an Sprache?
  • Was sind die strittigen Themen; von wem wird wie gestritten und warum?
  • In welcher Weise wird Wissen über Sprache sprachlich gefasst (und dadurch zugleich überhaupt erst konstituiert)?
  • Welche Sprachideologien sind in der deutschen Sprachgemeinschaft verbreitet? Handelt es sich dabei um (etwa durch die historische Entwicklung bedingte) kulturelle Spezifika oder gibt es in anderen Sprachgemeinschaften vergleichbare ideologische Muster?
  • Welche Möglichkeiten der Beschäftigung mit Sprache hat bzw. sieht die Sprachwissenschaft? Wo liegen die »Begrenzungen« eines wissenschaftlichen Blicks auf Sprache?
  • Wie verhält sich die Sprachwissenschaft zu den Interessen und Fragestellungen der breiteren Öffentlichkeit? Gibt es diskursive Gräben zwischen Linguistik und Öffentlichkeit?

 

Einzelprojekte

Das Portal soll Forum für laufende Projekte zu diesem Thema sein. Derzeit aktuell:

Deutsche Sprache um 1800 (J. A. Bär)

Anhand eines Quellenkorpus zur Literatur- und Kunstreflexion der Goethezeit – vgl. www.zbk-online.de; erfasst wird der Zeitraum 1760 bis 1840 – soll exemplarisch das semantische Konzept ‹deutsche Sprache› untersucht werden. Dabei ist der diskursspezifische Gebrauch von deutsche Sprache/Deutsch zu bestimmen. Insbesondere interessieren charakteristischen Zuschreibungen wie ‹ist in besonderem Maße zur Übersetzung geeignet› (z. B. August Wilhelm Schlegel) oder ‹ist nicht zur Lüge geeignet› (z. B. Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn) und programmatische Forderungen wie ‹muss/soll von Dialektausdrücken, Archaismen, Fremdwörtern u. a. ‚gereinigt‘ werden› (z. B. Joachim Heinrich Campe, Friedrich Gedike, Karl Wilhelm Kolbe , mit ironischer Brechung u. a. auch Johann Wolfgang Goethe, Clemens Brentano). Ebenso spielt die Ende des 18. Jahrhunderts noch virulente Frage nach einer schriftsprachlichen Norm sowie (nur teilweise im Zusammenhang damit) die Frage nach der Rolle der Dialekte eine Rolle. Und auch die ausführliche Beschäftigung mit der Sprachgeschichte, die in die Etablierung der Fachdisziplinen Vergleichende Sprachwissenschaft und Deutsche Philologie mündet (z. B. Friedrich Schlegel, August Wilhelm Schlegel, Wilhelm von Humboldt, Jacob Grimm), ist in den Blick zu nehmen.

Transferwissenschaften (Matthias Ballod, Thorsten Roelcke und Tilo Weber in Zusammenarbeit mit Gerd Antos):

Welche Rolle spielt Sprache und Kommunikation bei der Ausbreitung (Distribution, „Transfer“) von Wissen unter Berücksichtigung kultureller, medialer, kognitiver und emotionaler Rahmenbedingungen? Und vor allem: Wie kann die Vermittlung und Transformation von Wissen sprachlich-kommunikativ und medial optimiert werden? Welche Rolle spielen dabei Fragen der Verständlichkeit für unterschiedliche Rezipientengruppen (u.a. Personen mit Migrationshintergrund oder mit Lernschwierigkeiten, s.u.), Chancen und Barrieren der Experten-Laien-Kommunikation (samt Fachsprachen) und in der digitalen Ära: welchen Einfluss haben das Internets, Online-Spiele und von Formen der Virtualität?

Das offene Projekt versteht sich als ein Forum, für das u.a. die (inzwischen zehnbändige)  Buchreihe Transferwissenschaften (Lang Verlag, 1999 gegründet von  Gerd Antos und Sigurd Wichter) eine Plattform bildet (seit 2015 herausgegeben von Matthias Ballod (Halle), Thorsten Roelcke (Berlin) und Tilo Weber (Halle)). Daneben seit 2015 transdisziplinäre Kolloquien: TU Berlin: Information und Wissen (21./22.04.2016); Uni Halle: Transfer und Transformation von Wissen (27./28. 04. 2017)

 

„Leichte Sprache“ (Ulla Fix, Leipzig):

Dem Phänomen „Leichte Sprache“ wird derzeit in der Öffentlichkeit eine große Aufmerksamkeit zuteil – nicht zuletzt seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesregierung im Jahr 2009. Aus sprachwissenschaft-licher Perspektive kann „Leichte Sprache“ als laienlinguistisches Phänomen charakterisiert werden (Bock und Antos i.Dr.), das vorrangig intuitiv in der Praxis entwickelt wurde und dessen Hauptzielgruppe Menschen mit geistiger Behinderung[1] sind. Trotz erster Vorschläge für eine wissenschaftliche Fundierung (vgl. z.B. Bredel und Maaß 2016) sind wesentliche Fragen nach wie vor offen bzw. in der Diskussion (vgl. Bock, Fix und Lange i. Vorb.). Eine empirische Überprüfung der Wirksamkeit der aufgestellten Sprachregeln und Restriktionen (vgl. z.B. Netzwerk Leichte Sprache 2013) wird erst vereinzelt realisiert.

Im Rahmen der LeiSA-Studie an der Universität Leipzig werden v.a. empirische Untersuchungen zur Überprüfung der Verständlichkeit von „Leichte Sprache“-Texten und –Prinzipien durchgeführt. Das linguistische Teilprojekt hat zwei Ziele:

  • Das eine ist die theoretische Klärung und Begründung des Phänomens „Leichte Sprache“ als einer möglichen und berechtigten Varietät des Deutschen sowie der Klärung des Problems, was Verständlichkeit und Zugänglichkeit für jeweilige Leser bedeuten kann.
  • Das andere ist die Beantwortung der Frage, welche sprachlichen und typografischen Gestaltungsmittel (inklusive des Einsatzes von Bildern) am besten dafür geeignet sind, Texte mit ganz unterschiedlichen Inhalten und Funktionen für Menschen mit Lernschwierigkeiten zugänglich zu gestalten.

Der derzeitige Einsatz Leichter Sprache basiert auf Praxiserfahrung und erfolgt vielfach intuitiv. In empirischen Verständlichkeitsuntersuchungen mit Vertretern der Zielgruppe soll die Wirksamkeit gängiger Regeln und Prinzipien überprüft werden.

Zentrale Fragen sind: Was leisten Wörter und grammatische Formen für die Verständlichkeit von Texten? Welche Rolle spielen die Merkmale von Textsorten, speziell die von beruflich orientierten? Wie können auch komplexe Inhalte vermittelt werden? Kann beispielsweise eine Bedienungsanleitung tatsächlich mit den gleichen sprachlichen Mitteln zugänglich gemacht werden wie ein Vertragstext?

Zudem sollen Möglichkeiten einer linguistisch fundierten Ausdifferenzierung in Schwierigkeitsstufen geprüft werden. Fragen der Komplexität von Inhalten und deren Vermittlung, des erforderlichen Vorwissens, der pragmatischen und literalen Kompetenzen etc. müssen stärker Berücksichtigung finden.

„Leichte Sprache“ wird häufig als festgefügtes Konzept wahrgenommen, an das in Bezug auf Barrierefreiheit und Partizipation große Erwartungen geknüpft werden. Dies führt bisweilen bei Kritikern wie Befürwortern zu Missverständnissen – u.a., weil „Leichte Sprache“ irrtümlich als eine Sprachform für alle Leser verstanden wird (Antos 2016).

Gerd Antos (i. Vorb.):  Leichte Sprache als Politolekt. Anmerkungen zu den Einflussfaktoren: Verständlichkeit, Fremdheit und Transaktionskosten. In: Fix, Ulla/Bettina Bock/Daisy Lange  (Hg.) (2016): „‚Leichte Sprache‘ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung“. Berlin.

Bock, Bettina/Gerd Antos  (i.Dr.): ,Öffentlichkeit‘ –  ,Laien‘ – ‚Experten‘: Strukturwandel von ‚Laien‘ und ‚Experten‘ in Diskursen über ‚Sprache. In: Gerd Antos/Thomas Niehr/Jürgen Spitzmüller (Hg.) (i.Dr.): Sprache im Urteil der Öffentlichkeit. Berlin (= Handbuch Sprache und Wissen 10).

Bredel, U./C. Maaß (2016): Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen Orientierung für die Praxis. Berlin.

Fix, Ulla/Bettina Bock/Daisy Lange (Hg.) (i. Vorb.): „‚Leichte Sprache‘ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung“. Berlin.

 

Bereits durchgeführt:

Sprachreflexion in Spätmittelalter und früher Neuzeit (J. A. Bär):

Im Rahmen eines Beitrags zu einem von Anja Lobenstein-Reichmann und Oskar Reichmann herausgegebenen Sammelband zum Frühneuhochdeutschen geht es um das Sprachwissen des 14.-17. Jahrhunderts. Basierend auf einem Korpus deutscher und lateinischer Texte wurden die in dieser Zeit vertretenen Positionen zur Herkunft der deutschen Sprache, zum Verhältnis der Varietäten, zur Herausbildung einer sprachlichen Norm, zur Fremdwortfrage, zur Übersetzung sowie zur Sprachdidaktik untersucht. Der Beitrag ist online verfügbar: https://www.uni-vechta.de/fileadmin/user_upload/Germanistik/Mitarbeiter/Baer_Jochen_A/Fruehneuhochdeutsche_Sprachreflexion.pdf