Projekt

Jean Giraudoux formuliert pointiert: »Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt wie ein Jurist die Wirklichkeit.« Die Klage über die Unverständlichkeit juristischer Denkweisen und rechtssprachlicher Texte ist ein Topos. Die Forscher/innen der Wissensdomäne beschäftigen sich mit sprachlichen Aspekten bei der Konstitution juristischen Fachwissens. Dazu muss zuerst herausgearbeitet werden, wie eine juristische Sicht der Dinge bzw. Sachverhalte sprachlich konstituiert wird, bevor man die Frage erörtern kann, wie zwischen einer juristischen und einer außerjuristischen Sichtweise auf denselben Sachverhalt vermittelt werden könnte. Die Transparenz derartiger Konstitutionsbedingungen im Recht ist also die unverzichtbare Voraussetzung für die Erörterung von Vermittlungsaspekten. Das Nachzeichnen einer solchen rechtlichen Modellierung von Wirklichkeitsausschnitten muss am Anfang jeder Vermittlungsfragestellung stehen und kann auf Grund der Komplexität der Fachdomäne nur an »kleinen« Weltausschnitten exemplifiziert werden. Vermittlungs- bzw. Verstehensprobleme zwischen Recht und Alltag können auf textueller und pragmatischer Ebene erklärt werden. So wird deutlich, wie sich juristische und alltagsweltliche Sachverhaltskonstitution unterscheiden und welcher Stellenwert dabei sprachlichen Zeichen zukommt.

 

Projektziele

Die Leitfragen der Wissensdomäne Recht lassen sich wie folgt umreißen:

  • Welche Rechtsprechung findet gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit, und wie wird bei diesen Fällen der in Gesetzesbüchern kodifizierte Normtext in Bezug gesetzt zur sozialen Wirklichkeit? Wie wird bei diesen konkreten Fällen aus Gesetzestexten eine Rechtsnorm (die mehr ist als der Gesetzestext) generiert?
  • Wie lassen sich die unterschiedlichen Konzeptualisierungen innerhalb des Rechts, also etwa zwischen Haftpflichtrechtlern, Verwaltungsrechtlern, Strafrechtlern etc. verdeutlichen (Verdeutlichen von verschiedenen innerjuristischen Sichtweisen und länderspezifischen bzw. EU-Aspekten im Rechtsetzungsprozess)?
  • Wie formiert ein Jurist – von Tatbeständen und Rechtstexten als juristischen Wissensrahmen ausgehend – Sachverhalte der Lebenswelt (alltagsweltliche Wissensrahmen) im Hinblick auf die rechtliche Welt und ihre Schemata, die sich in Gesetzestexten, in der bisherigen Rechtsprechung und gegebenenfalls in der rechtswissenschaftlichen Literatur niederschlagen?
  • Wie lässt sich die Transformation von außerrechtlich Gefasstem in rechtlich Gefasstes im Prozess der Rechtsetzung beschreiben – also ausgehend von den nichtjuristischen Fachleuten (z.B. in der Verwaltung, Medizin, Informatik, Wirtschaft), die etwas in einem bestimmten Bereich für regelungsbedürftig halten, z.B. den ganzen Lebensmittelbereich, Chemikalienbereich, Krankenversicherungsbereich, über die Politik bis hin zum Rechtstext? Vereinfacht exemplifiziert: Was passiert mit dem Anliegen des Chemikers, der uns vor gefährlichen Chemikalien schützen möchte, bis hin zum Normsatz?
  • Wie lassen sich die rechtssprachlichen Mittel der Fachtermini, Syntagmen und Intertextualitätsverweise in ihren Funktionen und Wirkungen beschreiben?
  • Wie lässt sich das Verstehen von Rechtstexten (z.B. Gesetzestexte, Gerichtsentscheidungen, rechtswissenschaftliche Literatur usw.) transparent machen?
  • Wie lässt sich die postulierte Gesetzestextbindung und die praktizierte Rechtsfortbildung in juristischen Argumentationen erhellen, und welche Bedeutung kommt dabei fachsprachlicher Vagheit zu?

 

 

Ereignisse & Ergebnisse

HSW12

HSW 12 Felder, Ekkehard/Friedemann Vogel: (Hg.) (2017): Handbuch Sprache im Recht. Berlin/Boston.


 

Das Projekt »Semantische Kämpfe zwischen nationalen und internationalen Gerichten: Operationalisierung sprachlicher Verfahren zur Konstitution von Faktizität im Recht« wurde in Zusammenarbeit mit dem Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, Prof. Dr. Armin von Bogdandy, realisiert. Damit ist eine enge und institutionalisierte Zusammenarbeit mit Vertretern der Rechtswissenschaft gewährleistet. Im Zentrum des Projekts stehen bisher das Paradigma des semantischen Kampfes und eine Dissertation:

Janine Luth (2015) mit dem Titel »Semantische Kämpfe im Recht. Eine rechtslinguistische Analyse zu Konflikten zwischen dem EGMR und nationalen Gerichten«.

Felder, Ekkehard (2010): Semantische Kämpfe außerhalb und innerhalb des Rechts. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht. Heft 4/2010, 543–572.

Christensen, Ralph/Ralph Sokolowski (2006): Recht als Einsatz im semantischen Kampf. In: Ekkehard Felder (Hg.): Semantische Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften. Berlin/New York, 353–371.


 

Exemplarisch für die Untersuchung zur Rechtskommunikation sei auf die Linguistische Diskursanalyse (inkl. korpuslinguistischer Methoden) zum Themenkomplex Sterbehilfe/Palliativmedizin innerhalb und außerhalb des Rechts verwiesen:

Felder, Ekkehard/Janine Luth/Friedemann Vogel (2016): ‚Patientenautonomie‘ und ‚Lebensschutz‘: Eine empirische Studie zu agonalen Zentren im Rechtsdiskurs über Sterbehilfe. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik (ZGL) 44.2016, 1–36.).


 

Das Untersuchungsprogramm der pragma-semiotischen Textarbeit als Basis der »Linguistischen Diskursanalyse« ist in der folgenden Publikation vorgestellt:

Felder, Ekkehard (2015): Lexik und Grammatik der Agonalität in der linguistischen Diskursanalyse. In: Heidrun Kämper/Ingo Warnke  (Hg.): Diskurs – interdisziplinär. Zugänge, Gegenstände, Perspektiven. Berlin/Boston, 87–121 (Diskursmuster – Discourse Patterns, Bd. 6).


 

Über Eigenschaften der Rechtssprache, die Spracharbeit im Prozess der Rechtsetzung und die Verständlichkeitsforschung informieren die folgenden Publikationen:

Nussbaumer, Markus (2008): Der Verständlichkeit eine Anwältin! Die Redaktionskommission der schweizerischen Bundesverwaltung und ihre Arbeit an der Gesetzessprache. In: K.M. Eichhoff-Cyrus und G. Antos (Hg.): Verständlichkeit als Bürgerrecht? Die Rechts- und Verwaltungssprache in der öffentlichen Diskussion (= Thema Deutsch Bd. 9). Mannheim, 301–323.

Nussbaumer, Markus (2009): Über den Nutzen der Spracharbeit im Prozess der Rechtsetzung. In: Ekkehard Felder/Marcus Müller (Hg.): Wissen durch Sprache. Theorie, Praxis und Erkenntnisinteresse des Forschungsnetzwerks ‚Sprache und Wissen‘ (= Sprache und Wissen Bd. 3). Berlin/New York, 503–528.

Nussbaumer, Markus (2009): Rhetorisch-stilistische Eigenschaften der Sprache des Rechtswesens. In: Ulla Fix/Andreas Gardt/Joachim Knape (Hg.): Rhetorik und Stilistik/Rhetoric and stylistics. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. 2. Halbbd. Berlin/New York, 2132–2150.

Felder, Ekkehard (2011): Juristische Fachsprache. In: Albrecht Cordes/Heiner Lück/Dieter Werkmüller/Ruth Schmidt-Wiegand (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). 14. Lieferung. Zweite, völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin, 1443–1449.

Höfler, Stefan (2011): «Ein Satz – eine Aussage». Multipropositionale Rechtssätze an der Sprache erkennen. In: LeGes – Gesetzgebung & Evaluation, 22(2), 259–279.

Höfler, Stefan (2012): «Ein Artikel – eine Norm». Redaktionelle Überlegungen zur Diskursstruktur von Gesetzesartikeln. In: LeGes – Gesetzgebung & Evaluation, 23(3), 311–335.

Nussbaumer, Markus (2013): Die deutsche Gesetzessprache in der Schweiz. In: Marina Brambilla/Joachim Gerdes/Chiara Messina (Hg.): Diatopische Variation in der deutschen Rechtssprache (= Forum für Fachsprachen-Forschung / FFF 113), Berlin, 117–152.

Höfler, Stefan (2014): Between conciseness and transparency: Presuppositions in legislative texts. In: International Journal for the Semiotics of Law, 27(4), 627–644.

Höfler, Stefan (2015): Die Redaktion von Verweisen unter dem Aspekt der Verständlichkeit. In: LeGes – Gesetzgebung & Evaluation, 26(2), 325–349.

Höfler, Stefan (2016): Die Informationsstruktur von Rechtssätzen und ihre Bedeutung für die Gesetzesredaktion. In: LeGes – Gesetzgebung & Evaluation, 27(2), 225–251.

Höfler, Stefan/Markus Nussbaumer/Helen Xanthaki (2017): Legislative Drafting. In: Ulrich Karpen/Helen Xanthaki (Hg.): Legislation and Legisprudence in Europe: A Comprehensive Guide For Scholars and Practitioners. Oxford, 145–163.

Höfler, Stefan (2017): Das Legalitätsprinzip in der Gesetzessprache. In: Felix Uhlmann (Hg.): Das Legalitätsprinzip in Verwaltungsrecht und Rechtsetzungslehre. Zürich/St.Gallen.

Höfler, Stefan (2017): Zur Diskursstruktur von Gesetzestexten. In: Zeitschrift für Europäische Rechtslinguistik (ZERL).

Uhlmann, Felix / Höfler, Stefan (Hrsg.) (2018): Gute Gesetzessprache als Herausforderung für die Rechtsetzung. Zürich / St.Gallen: Dike.


 

Die folgenden Dissertationen sind unter anderem im Kontext des Forschungsnetzwerks entstanden:

Li, Jing (2011): „Recht ist Streit.” Eine rechtslinguistische Analyse des Sprachverhaltens in der deutschen Rechtsprechung. Berlin/Boston (Sprache und Wissen, Bd. 8).

Vogel, Friedemann (2012): Linguistik rechtlicher Normgenese. Theorie der Rechtsnormdiskursivität am Beispiel der Online-Durchsuchung. Berlin/Boston (Sprache und Wissen, Bd. 9).

Luth, Janine (2015): Semantische Kämpfe im Recht. Eine rechtslinguistische Analyse zu Konflikten zwischen dem EGMR und nationalen Gerichten. Heidelberg (Schriften des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften (EZS), Bd. 1).

 

Kooperationen

 

Die Wissensdomäne »Recht« kooperiert