Projekt
Der domänenspezifische Gegenstand ist die (sprachliche) Kommunikation in Institutionen und Organisationen im Handlungs-, Wissens- und Vergesellschaftungsbereich der Wirtschaft. Hinzu tritt die Beschäftigung mit anderen Praxisfeldern, in denen der Sprachgebrauch als Objekt (partieller) betrieblicher Rationalisierung und Optimierung ins Blickfeld kommt. Die Frage nach der Konstitution von Wissen, Praxis und Identität durch Sprache in Organisationen bezieht sich somit sowohl auf privatwirtschaftliche Unternehmen und „unternehmerisch“ agierende Akteure jeglicher Art wie auch auf öffentliche Verwaltungen, Behörden, Ämter sowie allgemein auf alle Domänen von Management und Administration.
Die universell – weltweit und über zahlreiche Domänen hinweg – verbreitete Herrschaftsform der Bürokratie (Weber 1921/2002, zum Folgenden mit weiteren Literaturangaben Habscheid/Müller/Thörle/Wilton 2014, 392ff.) macht eine intensive Kommunikation erforderlich, vor allem, aber nicht nur, den Gebrauch geschriebener, gedruckter oder elektronisch verarbeiteter Sprache in textuell verdauerter Form. Dadurch wird die Bewahrung, Reproduktion und materielle Autorisierung von Wissen sichergestellt, was geregelte Verfahren sowie deren Kontrolle und Legitimation nach innen und außen ermöglicht. Eine praktische Herausforderung für die im Alltag Handelnden besteht unter diesen Bedingungen typischerweise darin, nachvollziehbar jeweils sowohl den allgemeinen organisationalen Normen als auch den spezifischen Anforderungen der jeweiligen kontingenten Situation gerecht zu werden. Dies ist – etwa im Zusammenhang mit technischen Systemen – nur unter der Bedingung einer für sie interpretierbaren und hinreichend flexiblen Handlungsökologie möglich. In dem Maß, wie Verwaltungshandeln die Kooperation mündiger Klientinnen und Klienten erfordert, sind im Alltag Verständigungsprobleme aufgrund unterschiedlicher Perspektiven, Wissensvoraussetzungen und Handlungschancen zu bewältigen.
In unternehmerischen Kontexten begründet die Suche nach Möglichkeiten, dem weltweit herrschenden Druck zur Verbesserung der Qualität und Rentabilität in Produktionsprozessen zu begegnen, ein zunehmendes Interesse an mikroqualitativen Einflussfaktoren in der internen und externen Kommunikation. Im Vordergrund stehen dabei die kommunikativen Anteile am Produktionsprozess, einschließlich seiner Marketing-, Dienstleistungs- und Business-to-Business-Komponenten. Dass Produkte letztlich selbst als Resultate kommunikativer Prozesse betrachtet werden können, gilt zwar z.B. in der Informationstechnologie schon lange als Ausgangspunkt jeder Entwicklung; den qualitativen, (inter-)kulturellen und situativen Aspekten kommunikativer Prozesse gilt in den Unternehmen jedoch erst in jüngerer Zeit das Augenmerk – wobei eine interessante Dynamik im Grenzbereich von Praxis und Wissenschaft entsteht. Spezifische Anwendungsfelder sind dabei z.B.: Human Ressources/ Personalkommunikation/ Personalentwicklung, die Optimierung organisationaler (Kommunikations-)Prozesse, die Gestaltung organisationalen Wandels (Change communication), Risiko- und Krisenkommunikation oder die Effizienz kommunikativen Handelns (vgl. die Beiträge in Hundt/Biadala 2015).
Leitende Fragestellungen in der Wissensdomäne:
- Wie werden im kommunikativen Bezugsbereich der Wirtschaft durch den Gebrauch des „Mediums Sprache“ (Ehlich 2000) geteiltes Wissen, regulierende, kooperative und wettbewerbliche Praxis sowie Identitäten kollektiver Akteure und ihrer Mitglieder konstituiert?
- In welchen Formen sind deklaratives und prozessuales, kommunikatives Wissen in Organisationen gespeichert (Bürokratie; technische Systeme; Leitbilder; Alltagspraktiken etc.)? Wie werden organisationale Stabilität einerseits, Flexibilität und Wandel andererseits in kommunikativen Prozessen hervorgebracht?
- Mit welchen sprachlich-semiotischen Mitteln werden kollektive Orientierungsmuster in der organisationalen Kommunikation konstruiert, inwieweit werden hierbei verschiedene kulturelle Kontexte berücksichtigt?
- Inwieweit sind Verfahren zur organisationsinternen Konstitution von Konsens, Einheit und Einigkeit anschlussfähig für divergente Alltagsperspektiven der Adressaten, und was tragen derartige Verfahren zu einer nachhaltigen Integration von Organisationen bei?
- Welche Strategien verfolgen Organisationen als sprachenpolitische Akteure? Wie werden globale und lokale Anforderungen in Management und Alltagspraxis ausbalanciert?
Zitierte und weiterführende Literatur:
HSW 13 – Hundt, Markus/Dorota Biadala (Hg.) (2015): Handbuch Sprache in der Wirtschaft. Berlin/Boston.
Ehlich, Konrad (1998): Medium Sprache. In: Hans Strohner/Lorenz Sichelschmidt/Martina Hielscher (Hg.): Medium Sprache. Frankfurt am Main u.a., 9–21.
Habscheid, Stephan (2014): Sprachwissenschaft. In: Jens Schröter (Hg.): Handbuch Medienwissenschaft. Stuttgart, 422–426.
Habscheid, Stephan/Andreas P. Müller/Britta Thörle/Antje Wilton (Hg.) (2014): Sprache in Organisationen. In: Ekkehard Felder/Andreas Gardt (Hg.): Handbuch Sprache und Wissen. Berlin/Boston, 392–410 (= Handbücher Sprachwissen 1).
Weber, Max (1921): Soziologische Grundbegriffe. In: Max Weber: Schriften 1894–1922. Ausgewählt und herausgegeben von Dirk Kaesler. Stuttgart 2002, 653–716.